Die coole Alte
Greta Silver ist Youtuberin, Podcasterin, Bestsellerautorin und hält international Vorträge darüber, wie cool es ist, alt zu sein. Die 75-Jährige sprüht vor Energie und Vitalität. Doch man darf sich nicht täuschen lassen: Ihre Botschaft ist tiefgründig und reflektiert.
Interview: Stefan Böck
Wir treffen Greta Silver in einem Hotel in Wien. Am Abend hält sie hier einen Vortrag, für den sie aus ihrer Heimatstadt Hamburg angereist ist. Mit ihrer hanseatischen Erscheinung, einem strahlenden Lächeln, leuchtenden Augen und der Begrüßung „Hallo, ich bin Greta, wir sind per Du?“ zieht sie einen sofort in den Bann.
SEIN Magazin: Greta, für jene, die dich noch nicht kennen. Was machst du?
Greta Silver: Ich erzähle der Wirtschaft, wie die Best Ager ticken, einer Wirtschaft, die bis vor kurzem der Meinung waren, alten Leuten verkauft man nur Gummistrümpfe und Magnesium. Generell erzähle ich der Welt, wie cool es ist alt zu sein und was man für mehr Leichtigkeit im Leben tun kann, und zwar in jedem Alter. Viele meiner Follower sind ja erst 30 oder 40 Jahre alt. Im Kern geht es darum, das Leben selber in die Hand zu nehmen, nicht zurück ins alte Hamsterrad zu gehen. Ich beobachte eine Aufbruchsstimmung bei den 40-jährigen, man will generell mehr Lebensintensität. Dafür fühl ich mich zuständig.
Wie alt bist du?
Ich bin 75. Das Aha-Erlebnis ist, dass der Zeitraum von 60 bis 90 genauso lang ist, wie der Zeitraum von 30 bis 60. Man kann diese Zeit nicht einfach absitzen.
Warum braucht es für deine Botschaft die Kunstfigur Greta Silver?
Ich brauchte den Schutz und wollte einen Namen haben, den man sich gut merken kann. Ich trenne privat und beruflich. Ich erzähle zwar von meinem früheren Leben. Ich fotografiere aber nicht meine Pizza für Social Media. Das mach ich nicht. Ich will mit Inhalten punkten.
Wie wurde Greta Silver geboren?
Meine Tochter hat gesagt, ich soll der Welt doch erzählen, wie toll es ist, alt zu sein, „weil du das so gut lebst“. Also startete ich einen Videoblog. Ich hatte keine Ahnung von der Technik. Ich brauchte ein halbes Jahr, um auf YouTube überhaupt gefunden zu werden. Nach einer Zeit ging es dann aber los. Ich hatte viele Rückmeldungen. Da war ich 66. YouTube hat tatsächlich mein Leben verändert.
Was hast du den Leuten erzählt?
Meine ersten Filme stehen immer noch da. Es sind Themen für Ältere, es geht um Reisen, nützliche Dinge, Know-how, Tipps. Danach kam ich immer mehr zu meinen jetzigen Themen wie Sinnfindung, Umgang mit Ängsten, Zweifeln und nicht verheilte Verletzungen. Ich fokussiere mich heute mehr auf die Seelenwelt der Menschen.
Woher kommt das?
Ich erinnere mich selbst an Zeiten, wo ich dachte, andere sind zuständig für mein Glück. Aber wer ist eigentlich zuständig für mein Glück, wenn nicht ich selbst? Die eigene Verantwortung ist das Thema, man muss raus aus der Opferrolle, das ist Freiheit pur.
Verharren manche Menschen in ihrem Unglück?
Wenn man all die Jahre bis Mitte 60 verbittert durch die Gegend läuft, schafft man es später noch weniger den Schalter umzulegen.
Was kann man es dennoch schaffen?
Meine Erfahrung ist, dass der neue Lebensabschnitt einfach enorm viel Freiraum zulässt. Ich sehe im Alter so viele Vorteile. Durch die viele Lebenserfahrung erwirbt man Gelassenheit und man macht sich nicht mehr für Quatschkram verrückt. Das Leben bringt einem ja so viel bei! Ich sage immer: Wenn zwei Personen damit starten, ihr Leben einmal genauer anzuschauen und entscheidende Dinge zu verändern, dann hat es die 60-jährige Person gegenüber der 30-Jährigen garantiert leichter.
Funktioniert das bei allen Menschen?
Ich versuche viel, aber manche Leute lassen sich nicht herausholen aus ihrer Lethargie. Es ist vielleicht auch nicht für jeden gültig. Manche sagen zu mir, ich hätte gut reden, sei ja gesund, habe Geld. Ich kann das schon verstehen. Es ist ja auch wirklich schlimm, dass es Altersarmut gibt.
Ist cooles alt sein eine Frage des Wohlstandes?
Ich kenne eine ältere Dame, die finanziell wirklich nicht gut gestellt ist. Sie ist aber so stark mit den Menschen in ihrem Haus verbunden, sie nimmt Pakete an, geht mit Hunden Gassi, sie ist enorm gut drauf. Im Gegensatz dazu kenne ich Alte, aus den reichsten Hamburger Gegenden, die den ganzen Tag Trübsal blasen und über ihre Sorgen reden. Der Wohlstand allein garantiert noch kein seelisches Glück. Aber man darf es auch nicht schönreden: Die soziale Schieflage, die es in unserer Gesellschaft gibt, die Lage, in der sich zum Beispiel Alleinerziehende befinden, ist wirklich bedrückend.
Hast du auch selbst Krisen erlebt?
Ich habe früh meinen Vater verloren, ich war 19. Ich bin auch durch Einsamkeit gegangen. Ich bin in alldem selbst drinnen gesteckt. Als mein Mann den Job verlor, hatten wir in der Familie eine echte Krise. Ich hab mir aber immer gesagt: Wie schwer die Lage auch sein mag, ich bleibe eine fröhliche Frau.
Wie geht das?
Ich verbinde vieles mit Dankbarkeit. Das macht unfassbar glücklich. Dankbarkeit ist eine enorme Ressource. Ich meine nicht die demütige Dankbarkeit nach dem Motto von früher „sei gefälligst dankbar“, ich meine richtige, fröhliche Dankbarkeit. Kein Mensch hat mir beigebracht, was Dankbarkeit für eine Triebfeder ist. Man kann Ziele viel besser erreichen, wenn man für das, wo man gerade steht, auch wenn es noch die unterste Stufe der Ziele ist, bereits Dankbarkeit empfindet.
Dankbarkeit schafft Vertrauen und Zuversicht?
Es gibt ein wunderbares, kurzes Gedicht von Hilde Domin:
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten
Auf ihrem Grabstein steht: „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“. Ich denke oft an diese Worte, wenn ich erlebe, wie Menschen den ersten Schritt in ein neues Leben wagen. Es macht mich so glücklich, dass ich Menschen dazu bringen kann, ihr Leben noch einmal in die Hand zu nehmen. Das Feedback, das ich bekomme, ist manchmal überwältigend.
Welchen Blockaden begegnest du?
Die Erwartungshaltung, dass da nichts mehr kommt, ist der schlimmste Glaubenssatz. Oder der hier: Es lohnt sich nicht mehr! Das sagen schon vierzigjährige!
Welche Rolle spielt der Ausstieg aus dem Berufsalltag?
Je höher die Führungskraft, desto tiefer der Fall auf das Sofa. Frauen haben bessere Chancen als Männer, aus dem schwarzen Loch wieder rauszukommen. Es ist wichtig, Beziehungen zu pflegen. Das haben Frauen besser drauf. Ich mag ja auch das Wort Wechseljahre. Eigentlich ist das positiv. Da ist nicht etwas zu Ende, da wechselt etwas.
Und die Männer?
Männer haben im Alter erstmals die Freiheit, über ihr Leben nachzudenken. Vorher ist so viel Zwang, dann entsteht plötzlich Freiraum. Man kann sich fragen: Ist es das, was ich wollte? Keiner ist erstmal in dieser Phase glücklich. Wir möchten ja alle auf einem hohen Niveau permanent glücklich sein. Das kann nicht funktionieren.
Viele kriegen kurz nach Pensionsantritt die Krise.
Das Leben ist keine x-Achse, es verläuft nicht linear. Krisen und Niederlagen gehören zum Leben dazu. Ich vergleiche das mit dem Fußball. Um zu gewinnen, muss man sich durchkämpfen. Die Zeit zwischen 60 und 90 ist wie ein Start Up, eine Zeit, in der man Träume verwirklichen kann. Wenn ich 120 bin, will ich mir nicht sagen, ach hätte ich doch das und jenes gemacht.
Mit 120??
Ich erinnere mich noch an die Geburtstage meiner Oma als sie bereits betagt war. Sie hat immer über ihre Gesundheit geredet und dass es wahrscheinlich ihr letzter Geburtstag sei. Es war noch lange nicht ihr letzter, wir feierten noch viele Geburtstage mit ihr, aber alle verliefen in der genau gleichen Erwartung des Schlimmsten. Ich mache das anders. Ich entscheide mich heute und sage, ich werde 120. Und wenn ich dann nur 100 werde, ist es ja auch ok. Ich hab das aber inzwischen verinnerlicht. Es ist eine Art Symbol, das mir erlaubt, das Limit weit in die Zukunft zu verlegen. Ich bin mir der verrinnenden Zeit bewusst, aber genau dadurch wird ja jeder Tag so kostbar und ich mache deshalb das Beste draus.
Der Zweck ist also nicht, die Endlichkeit zu verdrängen?
Es verändert den Fokus. Ich will mich mit dem Tod auseinandersetzen. Der ist aber für mich kein Schreckgespenst, vor dem man davonlaufen sollte. Man sollte über das Ende nachdenken. Leider ist das bei uns ein Tabuthema. Ich sage aber im Gegensatz zu meiner Oma an meinem Geburtstag immer, dass das nächste Jahr noch geiler wird.
Und tritt das dann auch ein?
Ich hätte nie gedacht, was alles passiert ist, seit ich Greta Silver bin. Ich halte Vorträge, TED Talks, sogar auf Englisch. Hättest du mir das vor 15 Jahren gesagt, ich hätte dich für verrückt gehalten. Und ich bin weiter offen für spannende Dinge.
Du lässt dich einfach auf alles ein?
Manchmal gibt es Schrecksekunden, dann sag ich mir aber immer, komm mach einfach. Ich habe schon in meinem Job festgestellt, dass Nichtwissen ein Vorteil sein kann. Ich hatte einmal ein Projekt, da konnte ich eine Inneneinrichtung selber entwerfen. Die Möbelbauer sagten, meine Vorstellungen seien unmöglich umsetzbar. Dann hab ich mich mit den unterschiedlichen Handwerkern zusammengesetzt und am Ende ließ sich alles realisieren. Sie hatten Grenzen im Kopf, die ich nicht hatte. Nichtwissen kreiert manchmal neue Möglichkeiten. Ich springe in Projekte leicht hinein, auch wenn ich kein Fachmann bin, egal, ich mach erste Schritte, dann öffnen sich Türen. Manche Menschen haben ja Zweifel und sagen, wenn das und das passiert, dann mache ich das und das. Ich frage dann immer: Was wäre dein erster Schritt? Und ich sage: mach ihn. Denn dann wird sich so viel verändern. Es geht oftmals nur um den allerersten Schritt.
Zur Person
Über ihr „altes“ Leben, selbst über ihren früheren Namen, will die Hamburgerin Greta Silver lieber keine Auskunft geben. Das wollen wir respektieren. Ihr „neues“ Leben begann mit 60, „da wurde ich Model“, mit 66 gründete sie ihren YouTube-Kanal „Zu Jung fürs Alter“. Dann folgten ein Podcast, internationale Vorträge und mehrere Bücher, die zu Bestsellern wurden („Wie Brause Pulver auf der Zunge: Glücklich sein ist keine Frage des Alters“, „Alt genug, um mich jung zu fühlen“). Ihr neuestes Buch erschien im März 2022 mit dem Titel: „Bring dich selbst zum Leuchten: Schönheit im Alter“. Sämtliche Links und Infos zu ihren Aktivitäten und Veröffentlichungen findet man auf ihrer Webseite: www.greta-silver.de