"Ein sinnlicher Reichtum tut sich auf"
Dem Geruchssinn mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist für jeden Menschen eine Bereicherung, es macht glücklich und verbindet mit der Vergangenheit. Ein Gespräch mit dem Duftphilosophen, Künstler, Schriftsteller und Parfümeur Paul Divjak.
Interview: Stefan Böck
Riechen kann man medizinisch und neurologisch erklären, man kann es bei Therapien einsetzen. Doch um seine Sinnlichkeit zu erfassen, braucht es einen Philosophen, einen Künstler, einen Alchimisten, einen Parfümeur. Paul Divjak vereint das alles in einer Person. Seit vielen Jahren bereist, erforscht, kreiert und inszeniert er Düfte und Duftwelten.
SEIN-Magazin: In Ihrem Buch „Geruch der Welt“ verbinden Sie Düfte und Gerüche sehr stark mit Erinnerungen an Orte und Ereignisse im Leben. Warum ist das so wichtig?
Paul Divjak: In der Begegnung mit Menschen begeistert es mich immer, über Erinnerungen an Gerüche zu sprechen. Ich frage dann oft nach Kindheitserinnerungen in Bezug auf Düfte. Dabei entstehen mitunter sehr schöne Bilder. Die Geruchsbilder in meinem Buch sind das Ergebnis von mehr als 120 Gesprächen. Sich über Geruchserfahrung auszutauschen hat etwas sehr Verbindendes. Es schafft schnell einen sehr intimen Umgang mit einem Gegenüber.
An welche Düfte erinnern sich die Menschen?
Die liebsten Kindheitserinnerungen sind meist die Gerüche von Heu und frisch geschnittenem Gras. Dabei geht es um Sicherheit, Frieden und Naturerfahrung. An zweiter Stelle kommen Gerüche, die mit der Großmutter verbunden sind, die Küche, die Schürze, die Creme, der Kleiderschrank, das ganze Geruchsspektrum der Großmutter. Interessanterweise geht es nicht um die Mutter, sondern immer um die Großmutter. Wahrscheinlich, weil es nicht so alltäglich ist. Es gibt immer wieder auch Menschen, die keinen natürlichen Duft als Lieblingsduft nennen, sondern Dinge wie Plastik, frisch verpacktes Spielzeug oder den Geruch eines neuen Autos. Was auch immer wieder genannt wird, sind Gerüche, die im eigenen Zuhause vorgekommen sind.
Es ist oft einfacher, sich an Gerüche zu erinnern, als sie zu beschreiben.
Es ist von großer Bedeutung, Worte zu finden, für das, was wir olfaktorisch wahrnehmen. Vieles in diesem Sinnesbereich liegt noch brach, weil wir die Sprache nicht haben, weil uns die Begriffe fehlen, einen Geruchseindruck einerseits für uns selber abzulegen, aber auch um ihn jemandem anderen zu vermitteln. Der Geruchssinn ist, obwohl er so dominant und prägend ist, in seiner Bedeutung immer noch nachgereiht. Dabei ist es ein großes Geschenk, dass Gerüche im limbischen System des Gehirns Dinge auslösen, die stark mit der Persönlichkeit verbunden sind und es ist schön, dass man im Austausch mit anderen Menschen gemeinsame Erinnerungen aktivieren kann. Wie hat der Kaugummi gerochen, den es schon lange nicht mehr gibt? Wie hat dieses oder jenes Geschäft gerochen? Dinge, die nicht mehr existieren verbleiben in der Geruchserinnerung und das ist etwas Wunderbares.
Was ist das Faszinierende, am Geruchssinn?
Er lässt sich nicht normieren und das fasziniert mich jeden Tag aufs Neue. Es ist so vieles möglich, so vieles unbekannt und er lässt sich nicht nach Marketingkriterien kommerzialisieren. Ich finde es spannend, dass man Dinge nicht eins zu ein mit Gerüchen illustrieren kann. Ich zelebriere die Freiräume, die sich auftun und die sind reichlich vorhanden.
Sie haben gemeinsam mit dem Saint Charles Apotheker Alexander Ehrmann das „Institut für experimentelle Olfaktorik“ gegründet. Worum geht es dabei?
Wir bieten zum Beispiel Geruchsbildanalysen an. Dabei nehmen wir bei Menschen, die das möchten, von Kopf bis Fuß Geruchsspuren auf. Wir fangen bei den Haaren an, widmen uns dem Gesicht, dem Nacken bis hin zum Intimbereich, den wir mit Teststreifen riechen. Die Auswertung ergibt ein Geruchsbild, einen Geruchstyp. Dabei hat sich gezeigt, dass die Menschen ihre Ausdünstungen völlig falsch einschätzen.
Die Leute denken, dass sie unangenehm riechen?
Man denkt, dass man Mundgeruch hat, dass die Achseln stinken und so weiter. Meistens ist das alles nicht der Fall, es ist wie ein eingebildetes negatives Geruchsbild. Die größte Scham empfinden die meisten übrigens, wenn sie ihre Schuhe ausziehen, weil sie denken, da kommt eine riesige Geruchswolke raus. Dabei riechen die Socken von Leuten, die Lederschuhe tragen, ganz normal nach Leder. Das Problem sind die Turnschuhe. Hier entstehen Gerüche, die tatsächlich als unangenehm empfunden werden, aber auch diese Gerüche wurden grob überschätzt. Erstaunlich ist auch, dass man bei manchen Menschen gar nicht an den Körpergeruch herankommt, weil vom Haarspray über das Parfum, bis hin zu mikroverkapselten Duftelementen in der Wäsche einfach nur mehr Duft präsent war.
Verändert sich der Umgang mit dem Thema Riechen im Alter?
Die Tatsache, dass der Geruchssinn mit zunehmenden Jahren abnimmt, ist natürlich ein Faktor. Ich beobachte, dass es Menschen gibt, für die der Geruchssinn generell nicht so wichtig ist. Daran ändert sich dann auch im Alter nicht viel, weil wir ja nicht in einer Kultur leben, die das Riechen in besonderer Weise fördert. Das ist eigentlich schade, weil sich über den Geruchssinn ein unglaublicher sinnlicher Reichtum erschließt. Gerade für ältere Menschen ist der Geruchssinn ein ganz ein wesentlicher. In hohem Alter können Parfüms wie ein Fotoalbum der Erinnerungen benutzt werden. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter, als sie schon weit über 90 Jahre alt war, Düfte ganz gezielt eingesetzt hat. So war etwa 4711 ein absoluter Standard für sie. Ein Duft übrigens, der im Allgemeinen oftmals unterschätzt wird.
Ausgerechnet 4711 wird in Internetforen oft als „Oma-Duft“ bezeichnet...
Ich liebe die Herrendüfte aus den 60er und 70er Jahren. Es gibt auch Kandidaten, die unter dem Label „Opa-Duft“ laufen. Aber viele davon haben eine würzige, holzige Frische, die von einer wunderbaren Präsenz erzählen, von einer selbstbewussten, erdigen Frische, ganz ohne synthetische Note im Vordergrund. Oft sind es ausgewogene Kompositionen, die nicht viel kosten. Teuer ist nicht gleich gut. Interessantes findet man auch in der sogenannten Bückzone, ganz unten in den Regalen mancher Drogerien.
Viele Düfte der vergangenen Jahrzehnte wurden inzwischen neu formuliert und damit leider nicht immer verbessert. Warum wird das gemacht?
Dabei handelt es sich mitunter um gesetzliche Vorgaben an die Industrie, bestimmte Zutaten nicht mehr einzusetzen. Meist geht es dabei um Allergene. Ein Beispiel dafür ist Eichenmoos. Ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung reagiert darauf allergisch, weshalb es verboten wurde. Das hatte zur Folge, dass selbst großen Klassikern plötzlich die Grundlage fehlte. Dahinter stehen aber auch kommerzielle Interessen. Es gibt mittlerweile ein Eichenmoossubstitut, das großartig riecht und auch erlaubt ist.
Sind natürliche Essenzen nicht viel besser?
Gerade in einer Zeit, in der Umweltschutz so wichtig ist, weil so viele Ressourcen bedroht sind, ist die synthetische Herstellung ein durchaus gangbarer Weg. Die Rohstoffe für die Parfümindustrie sind schon heute oft Mangelware. Der Raubbau an einigen Pflanzen bringt diese und uns Menschen an den Rand des Aussterbens. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Industrie. Man erkennt sukzessive, dass man eine Verantwortung gegenüber dem Planeten hat.
Wie finden Sie Ihre Duftstoffe?
Ich selbst experimentiere gerne. Wenn ich auf Reisen bin, suche ich gezielt nach neuen Düften, am besten solche, die ich noch gar nicht vergleichen und einordnen kann. Ich habe oft Düfte kreiert, mit Inhaltsstoffen, die im Labor stehen. Ich bin aber immer auf der Suche nach noch nicht Gerochenem. Diese Quellen destilliere ich und mit dem gewonnenen Destillat kann ich dann neue Wege gehen. Dabei gehe ich vor, wie ein Musiker bei einer Komposition. Man baut Akkorde, aus Bässen, Mitten und Höhen.
Wie lange halten Düfte?
Das ist ein bisschen wie beim Wein. Viele Parfums werden mit den Jahren sogar noch besser. Es gibt aber auch welche, die irgendwann nicht mehr zu verwenden sind, das merkt man gleich beim Öffnen, meist durch einen Essigstich. Ältere Düfte sollte man immer prüfen, oft sind sie noch gut. Ich habe einige Düfte aus den 60er Jahren, die keinen Qualitätsverlust erlebt haben. Gerade in den Schränken älterer Menschen können sich wahre Schätze verbergen.
Wie groß ist Ihre Sammlung?
Ich denke so an die 500 Düfte sind es schon. Das ist für mich wie eine Bibliothek. Abends greife ich nicht nur zu einem Buch, sondern rieche auch noch in zwei, drei Düfte rein.
Sollte jeder Mensch mehr riechen?
Es ist großartig, den Geruchssinn zu trainieren und sich damit beschäftigen. Wir leben in einer stark visuell geprägten Kultur. In Frankreich gibt es beispielsweise ein großes Angebot an Geruchswahrnehmungsspielen. Das gibt es für Kinder, aber auch für Alzheimerpatienten. Gerade in späteren Lebensphasen gibt es die Möglichkeit, sich dem Geruchssinn noch einmal verstärkt zu widmen.
Zur Person
Paul Divjak studierte an der Zürcher Hochschule der Künste und promovierte an der Universität Wien zum Doktor der Philosophie. Er ist transdisziplinär in den Bereichen Literatur, Film, Fotografie, Musik, Performance, Installation und Olfaktorik tätig.
Gehen Sie auf eine Duftreise!
In seinem Buch „Der Geruch der Welt“ verführt Paul Divjak die Lesenden zu Duftreisen anhand von Assoziationen, die an unterschiedlichen Stellen im Buch auftauchen. Lehnen Sie sich zurück und lassen Sie sich auf ein paar Beispiele ein:
- Der Keller. Milchreis mit Zimt. Eine Holzhütte. Verfaultes Obst. Kirschblüten.
- Alte Bücher. Dille. Ein T-Shirt. Warme Luft. Kerosin. Ein ausgestopftes Tier. Der Turnsaal. Ein Melonenstück. Hundekacke. Gips. Ein Aschenbecher. Döner. Ammoniak.
- Odol Mundwasser. Erdgas. Frisch gebackene Croissants. Eine Alkoholfahne. Timotei-Shampoo. Eine Dampflokomotive. Algen. Feuchtes Schamhaar. Ingwer. Spargel.
- Bahnschwellen aus Holz. Sonnengetrocknete Bettwäsche. Abgestandenes Blumenwasser. Fahrenheit. Fischsauce. Tee mit Rum. Filzstifte. Ein Kinosaal. Tomaten.
Drei neue Düfte
Paul Divjak hat für die Saint Charles Apotheke drei Apothecary Eaux de Toilettes entwickelt, die auf natürlichen ätherischen Ölen und nachhaltigen Duftstoffen basieren.
Die Geschichte der Parfümerie ist eng mit der Geschichte der Pharmazie verbunden. Daher stand die Kreation einer eigenen Duftlinie schon lange auf der Wunschliste des Apothekers Alexander Ehrmann und seines Geschäftspartners Richard König, wie man bei Saint Charles betont. Alle Düfte sind geschlechtsneutral.
Dulcis
Ein angenehm warmes, würziges und aphrodisierendes Eau de Toilette. „Die Inspiration für den Duft basiert auf dem Bild der Metropole Paris der Belle Époque als pulsierendes Zentrum der Sinneseindrücke und des Savoir-vivre“, so Parfümeur Paul Divjak. Zarte, sorgfältig aufeinander abgestimmte Lavendelsorten treffen auf sanfte Vanille-, Amber- und Pfeffer-Aspekte. Ein sinnlich weiches Bett von cremigen Tonkabohnen- und Sandelholznuancen rundet das Dufterlebnis ab.
Viridis
Ein frisches, grün-blumiges Eau de Toilette. Es soll an Spaziergänge durch Sommerwiesen und den einzigartigen Geruch der Blüten, Gräser, Hölzer und der Erde nach dem Regen erinnern. „Der Duft sommerlicher Gräser verschmilzt harmonisch mit zart-blumigen Anklängen von Jasmin- und Lindenblüten auf einer Basis von zarten Vetiver- und Zedernholznoten.“
Clarus
Ein klassisch frisches, zitrisch-würziges Eau de Toilette, inspiriert von einem sonnigen Spaziergang durch einen mediterranen, blühenden Orangenhain. „Dezent und beglückend lädt es zum Eintauchen in einen endlosen Sommer ein – das blaue Mittelmeer am Horizont, Sonnenfunkeln, Heiterkeit“, heißt es in der Beschreibung. Die Komposition aus Zitrusfrüchten wie Bitterorange, Bergamotte und Petitgrain in Verbindung mit zarten Lavendelnoten auf einer würzig-holzigen Basis mit einem Hauch Patchouli und Zedernholz verleiht dem Eau de Toilette einen klaren Charakter.
Buchtipps
"Der Geruch der Welt"
Eine faszinierende Reise in die Welt der Gerüche anhand von Worten, Zitaten und Geruchsbildern.
Edition Atelier, ISBN 978-3-903005-16-7
"Der parfümierte Mann"
Neben einer Kulturgeschichte des Herrenparfums gibt Paul Divjak einen stilsicheren Überblick über einige der besten Düfte vom 19. Jahrhundert bis heute.