Leben

Zehn Jahre vorauszuplanen,
sind zu wenig!

Leopold Stieger hilft Senior*innen dabei, sich Ziele zu stecken. Im SEIN-Interview spricht er darüber - und warum man damit nicht warten sollte.

Interview: Andrea Lehky

Dr. Leopold Stieger, Seniors4success
Dr. Leopold Stieger, seniors4success

SEIN: Warum sind die ersten Pensionsjahre so wichtig? 
Leopold Stieger: Weil die Gefahr groß ist, dass man sich in die Hängematte legt und nicht mehr herauskommt. Das ist zwar sehr angenehm, aber man baut schnell ab. Ich nenne solche Menschen die „Genießer“. Das sind oft jene, die ihren Ruhestand als „verdient“ beschreiben. 
Dann gibt es eine zweite Gruppe, die „Weitermacher“. Sie arbeiten oft länger, als sie müssten. Viele waren selbstständig, Künstler, Steuerberater, Ärzte, Therapeuten. Das können sie auch in der Pension noch lange machen. Ihr Beruf ist ihre Identität, er hält sie frisch – und Einkommen fließt auch noch.
Die dritte Gruppe sind die „Anknüpfer“. Ihr Wunsch ist es, ihr Wissen und Know-how anderen zur Verfügung zu stellen. Sie wollen, dass es jemandem nützt. Oft arbeiten sie in einem Verein oder trainieren den Nachwuchs. Um soziale Kontakte müssen sie sich jedenfalls keine Sorgen machen.
Die letzte Gruppe sind die „Neustarter“. Sie haben sich oft in ihrem früheren Beruf fremdbestimmt gefühlt und von ganz etwas anderem geträumt. Oder sie holen mit voller Kraft nach, was früher nicht möglich war. Wenn sie etwas wirklich herausfordernd Neues beginnen, bleiben sie am längsten agil und leistungsfähig. Das kann ein Studium sein, das man dann aber auch anwenden muss, oder eine neue Firma oder ein großes soziales Projekt. Hirnforscher sagen, wenn man sein Hirn so anstrengt, dass es schmerzt, dann bringt es am meisten. Diese Menschen schauen auch viel jünger aus als sie sind. 

Wie findet man seine Idee, wenn man sie nicht schon hat?
Indem man sich fragt, was ist der Sinn meines Lebens? Was will ICH erreichen? Indem man sich seine Kindheitsträume in Erinnerung ruft und seine Vorbilder – oder die Nicht-Vorbilder. Wenn man mich gefragt hätte, was ich bestimmt nie machen will, hätte ich „Lehrer“ gesagt. Weil ich nur schlechte Lehrer hatte. Das kann ein großer Ansporn sein, es selbst besser zu machen. Und es muss etwas sein, was dem Du nützt, also anderen Menschen. Wenn ich in meinem Kämmerchen Briefmarken sortiere, nützt das niemandem. 

Gibt es auch typische Fehler? 
Ja – in Defiziten zu denken. Das kann ich nicht, das schaffe ich nicht … Man muss sich auf seine Stärken konzentrieren: Was kann ich gut und was kann ich daraus machen? Viele sind zu bescheiden. Dann fragt man am besten den Partner oder einen guten Freund, weil Selbstbild und Fremdbild oft nicht übereinstimmen.

Welchen Zeithorizont sollte man ansetzen?
Zehn Jahre vorauszuplanen sind zu wenig. Es sollten schon 20 sein. 
Haben Sie ein paar konkrete Ideen für unsere Leserinnen und Leser?
Ganz egal, ob Seniorenstudium, Sportklub, Sprachkurs, Verein oder Ehrenamt: Wichtig sind eine soziale, eine geistige und eine körperliche Komponente. Die können parallel laufen –, wenn ich eine Rakete baue, fordert das mein Gehirn und meine Hände. Wichtig ist der Fokus auf meine Stärken. Wenn ich kein Philosoph werden will, brauche ich auch keinen Philosophiekurs. 

Trägt einen eine solche Mission auch über Schicksalsschläge hinweg?Eine schwere Erkrankung oder den Verlust eines geliebten Menschen?
Absolut. Wenn ich gewohnt bin, in Stärken zu denken, kann ich umdenken, wenn sich etwas ändert. Wenn ich eine Hand verliere, frage ich mich, was ich mit der anderen noch machen kann. Mir hat das geholfen, als ich meine Frau verloren habe. Unser Haus war gerade fertig, sie hat es nur zwei Jahre genießen können. Hätte ich nicht meine Mission gehabt, ich hätte nicht weitergewusst. 

Wer ist Ihr Vorbild? Gibt es aus Ihrer Sicht jemanden, der es richtig gut macht?
Auf Ö1 höre ich gern dem Journalisten Hubert Gaisbauer zu. Er ist in meinem Alter und fängt immer wieder etwas Neues an. Zuletzt hat er Kindern die Umweltenzyklika von Papst Franziskus erklärt. 

Zur Person 
  
Leopold Stieger (83) ist promovierter Wirtschaftspädagoge, gründete und führte von 1972 bis 2004 die Gesellschaft für Personalentwicklung (GfP). 
Widmet sich seither mit der Plattform „Seniors4Success“ Menschen in Pension. 2005 verlieh ihm der Bundespräsident den Berufstitel „Professor“. 
www.seniors4success.at